Alles eine Frage des Geschmacks?

 
 

Exzerpt Masterarbeit — Lydia Döring — Februar 2014
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ALLES EINE FRAGE DES GESCHMACKS?
Typologie des Architekturgeschmacks der Dresdner Bevölkerung als Grundlage für ein Konzept zur Öffentlichkeitsarbeit
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Ziel der Arbeit
Ziel der Arbeit war zunächst die Darstellung der Wahrnehmung zeitgenössischer Architektur in der Dresdner Bevölkerung: Wie schätzen die Dresdner zeitgenössische Architektur in ihrer Stadt ein?
Anhand dieser Einschätzung wurden Typen mit einem spezifischen Architekturgeschmack identifiziert und charakterisiert. Die anschließende Interpretation dieser Geschmackstypen als Zielgruppen des Vereins Zeitgenossen diente als Basis für das Aufzeigen von Möglichkeiten für die Öffentlichkeitsarbeit des Vereins.

Theoretische Grundlagen
Architektur hat für Dresden einen besonderen Stellenwert. Die Stadt wird aufgrund der historischen Architektur in der Innenstadt als „Stadt von europäischem Rang“ oder auch „Elbflorenz“ bezeichnet. Das Gesicht der Stadt wurde geprägt von der Zerstörung während des Zweiten Weltkriegs und den nachfolgenden Verbau im Sozialismus. Die Stadtplanung der vergangenen Jahre sieht sich gespalten zwischen Musealisierung der Stadt und dem Wunsch nach Integration zeitgenössischer Bauten. Diese beiden Denkstrukturen – traditionell vs. modern – prägen die öffentliche Diskussion. Wie prägen diese den Architekturgeschmack?
Unter anderem kann der Mere-Exposure-Effekt zur Erklärung von Geschmacksbildung herangezogen werden: Die wiederholte Wahrnehmung eines Reizes führt mit der Zeit zu einer positiven Bewertung ebenjenes Stimulus. Es lässt sich von einer Geschmackspräferenz durch Gewöhnung sprechen (Zajonc).
Kant beschrieb das Geschmacksurteil als individuelle Wahrnehmung. Nach Bourdieu wird „guter Geschmack“ erworben durch Bildung, kulturelle Kompetenz und Stellung in der Sozialstruktur. Zur Charakterisierung von Typen bezüglich ihres Architekturgeschmacks wurden in Anlehnung an einschlägige Konzepte zur Beschreibung sozialer Strukturen verschiedenste Merkmale in die folgende Analyse einbezogen. Die konkrete Beschreibung sozialer Gruppen trägt zur Zielgruppenanalyse für die Kommunikations- und Marketingplanung bei.

Datenlage
Die Auswertung basierte auf Befragungsdaten, die repräsentativ für die Dresdner Bevölkerung sind. Die Daten wurden zwischen 1996 und 2013 erhoben.

Zentrale Ergebnisse
Die Dresdner finden Gefallen an bestehenden zeitgenössischen Bauwerken in ihrer Stadt. Sie sind dennoch skeptisch gegenüber städtischen Bauplanungen, die zeitgenössische Konzeptionen vorsehen.
Die Bevölkerung nimmt die Charakteränderung des Stadtbildes durch neue Bauten nach der politischen Wende wahr und schätzt diese als gut ein.
Die Einwohner empfinden moderne Architektur im Stadtbild nicht als vernachlässigt.
Außerdem gaben die Dresdner an, folgende Quelle am häufigsten als Informationsgrundlage zum aktuellen Baugeschehen zu nutzen:
– Gespräche in Familie und Freundeskreis
– regionale Zeitungen/Zeitschriften
– Spaziergang in Dresden
– regionale Radiosender

Bildung von Typen bezüglich des Architekturgeschmacks
Geschmackstypen wurden anhand ihrer Einschätzung von zeitgenössischer Architektur gebildet: Wer sich für zeitgenössische Architektur aussprach wurde der Gruppe der Modernen zugeordnet. Wer sich gegen zeitgenössische Architektur aussprach, dem Typus des Traditionellen. Die Charakterisierung dieser Typen wurde anhand verschiedener Merkmale vorgenommen. Die folgende Tabelle zeigt die zentralen Ergebnisse dieser Charakterisierung.

Moderne Traditionelle
Alter jünger älter
Geschlecht keine signifikanten Gruppenunterschiede
Bildung höher geringer
Nettoeinkommen keine signifikanten Gruppenunterschiede
berufstätig Moderne häufiger als Traditionelle
nicht berufstätig Schüler, Studenten Rentner
meistgelesene Tageszeitung Sächsische Zeitung, keine Tageszeitung Sächsische Zeitung, BILD
Wohndauer in Dresden etwas kürzer etwas länger

Zudem wurde das Kulturinteresse der Geschmackstypen schlaglichtartig betrachtet:
Demnach hören Moderne im Vergleich zu den Traditionellen bevorzugt Kultur- und Informationssender im Radio. Traditionelle präferieren hingegen Unterhaltungssender.

Möglichkeiten für die Öffentlichkeitsarbeit der Zeitgenossen
Vereine wurden nur sehr selten als Informationsquelle für aktuelles Baugeschehen genannt. Hier besteht großes Potential für die Zeitgenossen.
Moderne verfügen über hohes Bildungsniveau und haben Zugang zu Kulturinformation. Diese Gruppe sollte als Kommunikatoren und Multiplikatoren aufgefasst werden. Sie können gezielt zu Veranstaltungen eingeladen werden. Der Verein sollte zudem die TU Dresden als Plattform nutzen und mit Flyern bzw. auf Veranstaltungen und in Seminaren seine Präsenz ausbauen.
Traditionelle können gezielt über regionale Radiosender mit Unterhaltungsprogramm erreicht werden.
Informationsquelle für Baugeschehen ist das Fahrgastfernsehen der Dresdner Verkehrsbetriebe. Hier sowie in der Stadt oder auf Stadtteilfesten können die Zeitgenossen Raum nutzen, um für Offenheit bezüglich zeitgenössischer Konzeptionen zu werben.
Alle gewählten Kommunikationswege sollten genutzt werden, um Vertrautheit mit dem Anblick zeitgenössischer Architektur zu schaffen, denn die Studie zeigte, dass zeitgenössische Konzeptionen zwar skeptisch betrachtet werden, die Dresdner jedoch bestehende zeitgenössische Bauwerke positiv bewerten. Schmecken kann erst das, was man sich auf der Zunge zergehen lassen oder mit den Augen betrachten kann.

Kant (1790): Kritik der Urteilskraft.
Müller; H. (1986): Kultur, Geschmack und Distinktion. Grundzüge der Kultursoziologie Pierre Bourdieus. In: Friedhelm Neidhardt/M. Rainer Lepsius/Johannes WEiss (Hrsg.). Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, 41. S.
Zajonc (1968): Attitudinal effects of mere exposure.