Die Ikone Dresden und die Stadt des 21.Jahrhunderts

 
 

Artikel in der DNN anlässlich der Matinée im Kleinen Haus am 15.01.2012
„In welchen Städten wollen wir leben – Architektur zwischen Denkmalschutz und Moderne“

Es klappt zunehmend ja doch mit der aus dem Brückentrauma erwachenden Dresden Streitkultur!
Das Staatsschauspiel hatte einmal mehr den sprichwörtlichen Finger drauf. Das Kleine Haus ist nicht nur wieder ein Ort innovativen Theaters geworden, sondern auch ein Zentrum des aktuellen Diskurses.
Gestern zur Matinee über Architektur und Urbanität reichte die Bestuhlung nicht aus, weil mehr als 300 Dresdner vor allem über ihre Stadt reden wollten. Oder reden lassen wollten, denn – den einzigen Wermutstropfen vorab – zu Wort kam das Publikum nicht.

Der Verteilung des Beifalls aber war unschwer zu entnehmen, dass viele an der verwechselbaren Discount-Architektur leiden, mit der die Brachen der Zerstörung in den vergangenen 20 Jahren zugeklotzt wurden.
Die nächste Scheußlichkeit entsteht gerade am Postplatz, dessen physische wie geistige Leere Staatsschauspiel-Intendant und Postplatz- Anlieger Wilfried Schulz leidenschaftlich beklagte.
Die Liebe zum und das Leiden am Gebauten gehören eben zu den ewigen Ambivalenzen der Dresdner.

Mit welcher Heiterkeit das Publikum dem intellektuellen Ping-Pong auf dem Podium folgte, strafte eigentlich eine Beobachtung von Prof. Bernhard Müller Lügen. Der Direktor des Instituts für Ökologische Raumentwicklung sprach von den „ernsten Gesichtern der Dresdner“, die eine Willkommenskultur in der Stadt beeinträchtigten.
Jenes Pathos, das nur die Legende des „Alten Dresden“ nach Fritz Löfflers Buch zum Maßstab nimmt, wurde noch mehrfach angesprochen.

Architekt Prof. Peter Kulka verglich die Narben der Stadt mit bleibenden Folgen eines schweren Unfalls, nannte aber zugleich nichts tödlicher, als die Stadt nach einem einzigen Gusto zu gestalten. Die Akzeptanz, ja die Notwendigkeit der Mehrschichtigkeit und Gleichzeitigkeit von Formen und Epochen bestritt niemand der Diskutanten.
Der Nimbus der unvergleichlich Schönen und Einmaligen blieb sonst dezent im Hintergrund. Es ging vielmehr um eine Einordnung Dresdens in Fragenkomplexe, vor denen die Stadtplaner überall stehen, um Visionen für die Stadt der Zukunft schlechthin. Solche verallgemeinerbaren Postulate stellte für den Deutschen Bühnenverein als Mitveranstalter gleich eingangs der Berliner Intendant Ulrich Khuon vom Deutschen Theater auf.
„Das Schicksal der Demokratie entscheidet sich in den Städten“, rief er. Denn sie seien immer mehr Orte „privater Erlebnisexzesse“, die das Öffentliche und Gemeinschaftliche zurückdrängten.
„Gibt es noch eine Aura? Sind Städte noch planbar?“ – Pessimismus klang an. Khuon gestand den Bewohnern eine Sehnsucht nach der historischen Herkunft zu, denn der Mensch fühle sich zunehmend „metaphysisch obdachlos“.

Ein dickes Dresdner Thema, und Moderator Dieter Bartetzko konzidierte angesichts der Welle von lächerlich-unsicheren „Neuerfindungen“ von Städten oder Stadtteilen die Suche nach dem Sicheren und Bleibenden. Der Architekturkritiker der FAZ moderierte in dem wie zum Frühschoppen plaudernden Podium (für das sich der ebenfalls angekündigte Architekt Meinhard von Gerkan hatte entschuldigen lassen) weniger, als dass er mit argumentierte. Auch Bernhard Müller stellte fest, dass Städte weltweit zwar Ikonen schafften, aber wenig Aufenthaltsqualität. Müller war auch ganz bei Khuon, als er eine „zunehmende Privatisierung der Städte“ beklagte, also den Entzug wirklich öffentlicher Flächen.

Hier war es gedanklich nicht weit zum anscheinend unvermeidlichen Kniefall vor Investoren, der auch in Dresden für Jahrzehnte Spuren hinterlassen hat. Ausgerechnet Philipp Maaß vom Vorstand der Gesellschaft Historischer Neumarkt blieb es vorbehalten, das Primat von Politik und Stadtplanung einzufordern. Maaß bekam zwar einige Spitzen ob der Potemkinschen Dörfer am Neumarkt ab, geriet deswegen aber keineswegs in die Defensive. Der nur mittelbar an der Stadtplanung beteiligte Kulturbürgermeister Ralf Lunau plädierte gerade in Dresden für mehr Fußläufigkeit und kurze Wege und bekam Beifall.

Der wahrscheinlich Jüngste in der Runde gab sich am weisesten. Architekt Alexander Pötzsch, in der „Zeitgenossen“- Bauinitiative engagiert, riet zur Gelassenheit. Trotz eines wenig mutigen Stadtrates, trotz der „vielen Scheiße“, die nach 1990 in Dresden gebaut wurde, trotz der verständlichen Ungeduld.
Überall wechselten nun einmal Mittelmaß und Highlights. Auf dass auch der Kunst die Widersprüche nicht ausgehen, von denen sie lebt und leben wird.

Michael Bartsch